SPIEGEL Geschichte: 24h D-Day

MONTAG, 27.5.2024, 20.15 – 21.00 UHR, Das Erste

6.Juni 1944, 6.30 Uhr: Eine riesige Armada der westlichen Alliierten erreicht die Normandie. Ein von langer Hand geplantes Inferno bricht los. Es ist das größte amphibische Landungs­unter­nehmen der Kriegs­geschichte. Bis zum Abend über­rennen 157.000 amerikanische, britische und kanadische Soldaten an einem Küsten­abschnitt von 70 Kilometern Breite die deutschen Stellungen und dringen ins Landes­innere vor. Hinzu kommen alliierte Luft­lande­truppen, die mit Waffen, Munition und schwerem Gerät hinter den feindlichen Linien abgesetzt werden. Etwa 30.000 Soldaten sollen sie wieder ins Meer zurück­werfen und Hitlers Herr­schaft in Frankreich sichern.

Anlässlich des 80. Jahrestages schildert die Dokumentation den genauen Ablauf des schicksal­haften »längsten Tages«, der die Befreiung West­europas von der Nazi­herrschaft ein­ge­leitet und schließlich auch dem westlichen Teil Deutsch­lands Freiheit und Demokratie gebracht hat. Das Besondere: Die originalen schwarz-weißen Film­auf­nahmen werden hoch­auf­lösend abgetastet und in einem besonderen Verfahren Einstellung für Einstellung hand­koloriert. So bekommen die ikonischen Bilder eine nie gesehene Spielfilm-Qualität. Es existieren auch Farb­filme von den Ereignissen, die nach einer auf­wändigen Restaurierung eben­falls den Zuschauer ganz dicht an die Handlung führen, die von den damals kämpfenden Soldaten beider Seiten in bewegenden Erinnerungen zum Leben erweckt wird.

Da heute kaum noch Zeitzeugen befragt werden können, sind Inter­views aus Archiven in Deutsch­land, Kanada und den USA die Grund­lage dieser dramatischen Erzählung, die so ohne Kommentar aus­kommt. Die Aussagen der unmittel­bar Beteiligten – alliierte und deutsche Soldaten – spiegeln die Gedanken und Ängste auf beiden Seiten wider. Bis an ihr Lebens­ende haben die damals noch so jungen Männer diesen Tag nicht vergessen können – mit allen grauen­haften Details des Leidens und des Sterbens. Speziell entwickelte 3D-Grafiken und spektakuläre Film­aufnahmen von den Original­schau­plätzen machen die Gesamt­szenerie auch für jüngere Zuschauer spannungs­geladen und nach­voll­ziehbar.

Der D-Day beginnt eigentlich schon kurz nach Mitter­nacht. Das schlechte Wetter über dem Ärmel­kanal hat sich etwas beruhigt. Der alliierte Ober­befehls­haber, US-General Dwight D. Eisenhower, hat in Süd­england die Männer, die noch in der Nacht in der Normandie abspringen werden, verabschiedet. Sein Befehl lautet: »Eure Aufgabe wird nicht leicht sein. Der Feind ist gut aus­ge­bildet, gut aus­ge­rüstet und kampf­erprobt. Er wird mit aller Härte kämpfen. Ich habe volles Vertrauen in euren Mut, euer Pflicht­gefühl und euer Geschick im Kampf. Wir werden nichts Geringeres als einen voll­ständigen Sieg akzeptieren!«

Ed Shames, ein damals 21 Jahre alter US-Fall­schirm­springer erinnert sich an den Absprung: »Die meisten dieser Typen hatten geschwärzte Gesichter. Kurz­haar­schnitte. Skalpiert, wie bei den Indianern. Ich war daran interessiert, meinen Hintern zu retten. Man hatte nur im Sinn, auf dem Boden zu landen. Unser kommandierender Offizier landete in einem Baum. Die Nazis haben ihn ermordet.«

Wochenlang haben die alliierten Soldaten die Landung an den fünf Abschnitten »Utah«, »Omaha«, »Juno«, »Sword« and »Gold« trainiert. Unter den amerikanischen GIs befindet sich auch der damals 19 Jahre alte Infanterist Bob Slaughter aus Roanoke in Virginia: »D-Day. Das war ein Tag, den ich nie vergessen werde. Es ist ein Tag, der für immer in meiner Erinnerung bleiben wird.« Noch weiß er nicht, dass er einem Himmel­fahrts­kommando zu­ge­teilt worden ist. Das wird ihm in seinem Landungs­boot binnen weniger Minuten klar, als es sich »Omaha Beach« nähert: »Die Maschinen­gewehr­kugeln trafen unser Boot. Chaos. Es machte mir eine Heiden­angst. Also schrie ich: ‚Männer, auf uns wartet hier die Hölle. Sie sind bereit für uns.‘ Ich konnte sehen, wie Leute getroffen wurden. Keine Führung. Ich konnte nicht ein­mal klar denken.«

Jeder Versuch einer Landung, so suggeriert es die Nazi­propaganda, müsse am so­ge­nannten »Atlantik­wall« scheitern. Doch in Wirklichkeit sind nur Teile der Kanal­küste aus­reichend befestigt. Die Invasion trifft trotz­dem teil­weise auf erbitterte Gegen­wehr. Symbol des blutigen Gemetzels am Omaha Beach ist das »Wider­stands­nest 62«. Der damals 18 Jahre alte Franz Gockel war dort stationiert: »Am Schluss hieß es wochen­lang nur noch: ›Sie kommen. Das kann sehr hart werden für uns.‹ Ich habe geschossen, um zu über­leben.« Nur etwas über zwanzig Mann bringen den alliierten Angreifern mit Panzer­abwehr­kanonen, Geschützen und Maschinen­gewehren schwere Verluste bei, bevor sie sich der Über­macht beugen. Franz Gockel: »Nicht zu früh schießen. Den Gegner ran­kommen lassen. Die ersten mussten ja 300 Meter über freie Fläche und das war für den Amerikaner eine sehr blutige Sache. Der Strand war ein­fach bedeckt mit Toten und Verwundeten.« Experten gehen davon aus, dass die Amerikaner an »Omaha Beach« etwa 4.000 tote, verwundete und vermisste Soldaten in Kauf nehmen müssen.

Welle für Welle erreichen die Landungs­boote die Strände. An »Juno Beach« erlebt der damals 21 Jahre alte Kanadier Alex Adair das Inferno: »Wir waren zuerst an Land. Wir haben so viele Verluste erlitten, dass wir nicht mehr in der Lage waren, zu kämpfen. Darum haben sich dann die nach­rückenden Kompanien gekümmert. Dann haben die Deutschen auf­ge­geben. Es ist traurig zu sagen, dass sie nicht im Kampf starben. Sie gaben auf.« Wie der damals 19 Jahre alte Bruno Plota, der sich schließ­lich in der Nähe von «Omaha Beach« den Amerikanern ergibt: »Das war ja eine Über­macht, und dann habe ich auch gesehen, wie viele Kameraden da schon lagen, die verwundet bzw. schon tot waren. Das Leben hing ja am seidenen Faden. Man wusste nie, was in der nächsten Minute los ist – oder Sekunde. Es ging also um Leben und Tod oder Sein oder Nichtsein.«

Am Ende des D-Day haben die Alliierten in der Normandie erfolgreich Brücken­köpfe gebildet. Vor ihnen liegen aller­dings noch Tage und Wochen erbitterter Kämpfe mit vielen Verwundeten und Toten auf beiden Seiten.