ZDFzoom: Das Pflege-Desaster – Was gegen den Personal-Notstand hilft  

MITTWOCH, 9. Februar 2022, 23.00 – 23.30 Uhr, ZDF

Im Jahr 2030 fehlen in deutschen Krankenhäusern rund 63.000 Vollzeit-Pflegekräfte. Die Corona-Pandemie macht für alle sichtbar, was schon seit Jahren Realität in den Kliniken ist: Zu viel Belastung, zu wenig Personal: Aber was hilft gegen den Pflegenotstand?

Der kommunale Klinikverbund München Klinik geht den hauseigenen Pflegenotstand mit verschiedenen Maßnahmen an: 4.000 Euro Prämie bekommen Mitarbeiter*innen, die neue Pflegekräfte anwerben. Die auf diesem Weg neu eingestellten Pflegekräfte können sich über den gleichen Betrag freuen. Nur eine von vielen Maßnahmen, um sich als Arbeitgeber für Pflegepersonal attraktiv zu machen. „Es ging uns nicht darum, andere Häuser zu schwächen, sondern die eigene Not zu lindern“, sagt Klinik-Geschäftsführer Dr. Axel Fischer.

„Selbst wenn ich 1000 Euro netto mehr im Monat gehabt hätte, hätte das nicht an meiner Entscheidung geändert“, sagt Vanessa A., die bis vor einigen Monaten noch als Gesundheits- und Krankenpflegerin in der Notaufnahme eines Krankenhauses gearbeitet hat. Sie hat sich für den „Pflexit“ entschieden und arbeitet heute als medizinische Gutachterin. „Wir wurden immer weniger Personal, dafür kamen immer mehr Patienten. Oft war ich am Ende einer Schicht weder auf Toilette, noch habe ich in mein Brot gebissen oder auch nur einen Schluck getrunken.“ Schlussendlich hat die Familienunfreundlichkeit den Ausschlag gegeben, dass sie den Job, den sie immer gerne gemacht hat, aufgegeben hat.

„Pflege ist lebenslanges Lernen“, sagt Intensivpfleger Markus Schopper aus München. Nur die Wenigsten wüssten, wie viel Autonomie und welches enorme Wissen der Beruf erfordere. Er hat sich über die Jahre zur stellvertretenden Stationsleitung hochgearbeitet und für ihn sind es u.a. die Perspektiven auf Weiterbildung, die den Job – trotz aller Probleme - nachhaltig interessant machen.

Ein Weg für viele Pflegekräfte, die kurz davor sind ihren Beruf zu verlassen, ist der Weg in die Leiharbeit – auch „Leasing-Pflege“ genannt. Zeitarbeitsfirmen wie die von Mike Schreier aus Landau verleihen Pflegepersonal an Kliniken – deutschlandweit. Etwa die Hälfte aller Krankenhäuser in Deutschland nutzt dieses Angebot. „Eigentlich verbietet es mein Berufsethos, dass es solche Firmen wir uns überhaupt gibt. Aber wir halten viele Leute im Beruf.“ Das sagt Mike Schreier, selbst ausgebildeter Intensiv- und Anästhesiepfleger. Bei Mike Schreier kann eine Pflegekraft 50-100% mehr verdienen als über eine reguläre Anstellung im Krankenhaus. Die Urlaubsplanung ist völlig frei gestaltbar und die Woche hat nur 35 Stunden. Für die Kliniken ist das immer noch günstiger als Betten zu schließen oder weniger OPs durchzuführen.

Gewerkschaften wie die Pflege-Gewerkschaft Bochumer Bund betonen, dass die Pflege schon viel zu lange ein unsichtbares Dasein fristet. Was man nicht lukrativ abrechnen könne, das habe keine Bedeutung. Private Krankenhäuser, die wirtschaftlich arbeiten und Aktionärsinteressen bedienen müssen, tun dies auf dem Rücken der Pflege, so Heide Schneider, Bundesvorsitzende des Bochumer Bunds. Pflegekräfte müssten sich besser organisieren, punktuelle Streiks seien da nur der Anfang.

Der Berufsverband DBfK blickt gespannt auf die kommende Legislaturperiode. Man wisse, dass Karl Lauterbach etwas an den Strukturen verändern wolle, aber er werde vielen Lobbyisten gegenüberstehen. Es gäbe nur eine Möglichkeit, nachhaltig etwas am Pflegenotstand zu verändern: „Wir kommen nicht darum herum, genauer auf unser Gesundheitssystem zu gucken“, sagt Prof. Christel Bienstein, Präsidentin des Berufsverbandes.

Der GKV Spitzenverband der Krankenkassen sagt, dass genug Mittel für die Pflege da seien und über das Pflegebudget an die Krankenhäuser ausgezahlt würden. Die Krankenhäuser würden das Geld bloß falsch einsetzen. „Pflegekräfte seien keine Spardose“, so der Spitzenverband. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft wiederum sieht die Probleme bei den Krankenkassen. Man würde liebend gerne mehr einstellen, aber der Markt sei leer - es gäbe einfach zu wenige Pflegekräfte. Und die Krankenkassen würden die Verhandlungen über das Pflegebudget blockieren.

Klinikbetreiber Asklepios hat im Jahr 2017 ein Auslandsprogramm ins Leben gerufen, um dem Pflegenotstand auf den hauseigenen Stationen entgegenzuwirken. Der Konzern rekrutiert ausgebildete Pflegekräfte u.a. auf den Philippinen, in Mexiko und in Indien. In diesen Ländern ist der Pflegeberuf akademisiert, die praktischen Lücken werden dann in Wohn- und Ausbildungszentren in Darmstadt und Hamburg aufgearbeitet. „Die Anwerbung im Ausland ist zentral, um auch zukünftig den Personalmangel in deutschen Krankenhäusern aufzufangen“, sagt Astrid Sartorius, Leiterin der Auslandsakquise Pflege bei Asklepios.

Die Impfquote in deutschen Kliniken liegt bei über 90%. Dennoch ist die Impflicht für Gesundheits- und Pflegepersonal das aktuell größte Damokles-Schwert in der Debatte um den Pflegenotstand. Man geht davon aus, dass manche Pflegekräfte im Laufe des Jahres den Beruf verlassen werden, weil sie sich weiterhin nicht impfen lassen wollen.

Und dann noch der Blick in die Zukunft: Wir werden immer älter und auch viele Pflegekräfte gehen in den nächsten Jahren in Rente. Wer wird uns pflegen? Wer möchte diesen Beruf heute noch ergreifen? Seit 2020 gibt es nur noch die generalistische Ausbildung zur „Pflegefachfrau/-mann“. Die Abbruch-Quote liegt - nicht erst seitdem - im Durchschnitt bei 30%. Ein Blick in die Schule für Pflegeberufe Neumünster zeigt: Die Pflegekräfte von morgen sind motiviert und haben trotz Pandemie große Lust auf diesen Beruf. Den Druck verspüren sie trotzdem schon in der Ausbildung. Wie können sie also nachhaltig im Job gehalten werden? Und welche Perspektive haben sie?