Wir 80 Millionen - Was Deutschland vereint

Mittwoch, 9. September um 20.15 Uhr, 3sat

30 Jahre ist Deutschland wiedervereint. Doch was eint die Menschen? Was hält das Land im Innersten zusammen? 50 Bürger aus Ost und West, Jung und Alt, mit und ohne Migrationshintergrund suchen nach einem gemeinsamen Nenner. Sie sind Teil einer qualitativen Studie, die die Bertelsmann-Stiftung anlässlich des 30. Jahrestages der Wiedervereinigung in Auftrag gegeben hat. Knapp ein halbes Jahr standen die Wissenschaftler mit ihren Gesprächspartnern im Kontakt, um in Einzelinterview und Gruppendiskussionen herauszufinden, was der Kern von uns 83 Millionen ist.

Der Film begleitet sechs der 50 Studienteilnehmer auf ihrem gemeinsamen Weg, auf der Suche nach dem Deutschland–Nenner. Gerd Machulla aus Delitzsch in Nordsachsen war beim Fall der Mauer 30 Jahre alt. Nur ein Jahr älter ist Carmen Birkel aus Essen. Beide leben nun schon 30 Jahre gemeinsam im vereinten Deutschland. Doch ihre Sozialisationen und auch ihre Bewertungen der Deutschen Einheit und deren Auswirkungen können unterschiedlicher kaum sein. Carmen Birkel ist zum Beispiel der Meinung, dass der Fall der Mauer westdeutschen Politikern zu verdanken ist. Gerd Machulla, ehemaliger Reichsbahner, hingegen ist überzeugt, dass DDR-Volkes Wille die Mauer zum Einsturz brachte. Er selber war bei den Demonstrationen dabei, 1989 in Leipzig.

„Man ist für die AFD, oder dagegen.“

Die Experten der Studie finden einige vermeintliche Trennlinien in der Gesellschaft. Vor allem viele ältere Ostdeutsche, jene damals schon Erwachsene, wollen die westdeutsch dominierte Erfolgs-Erzählung der deutschen Einheit nicht unterschreiben. Das ist für Soziologieprofessor Steffen Mau von der Humboldt Universität Berlin nicht überraschend. Seiner Meinung nach kamen 1990 zwei vollkommen unterschiedliche Gesellschaften zueinander. Eine nach unten nivellierte Gesellschaft der kleinen Leute - eine homogene Gesellschaft der Werktätigen aus dem Osten - traf auf eine diverse bürgerliche Mittelschichtgesellschaft aus dem Westen. Der Elitentransfer und das Abräumen der DDR - die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit – all das fand nicht unter den Ostdeutschen statt, sondern vor westdeutschem Publikum mit zugereisten Moderatoren. Gräben ziehen aber auch durch Ost und West gleichermaßen, so die Studie. Die Menschen beklagen eine größer werdende Kluft zwischen Arm und Reich. Und scheinbar unversöhnliche Positionen. Für den Zuzug von Flüchtlingen und gegen den Zuzug. Oder: „Man ist für die AFD, oder dagegen.“

Doch es gibt auch viele Gemeinsamkeiten, die uns 83 Millionen verbindet. Das ist zum einen die Liebe zu unserer Heimat, der Region, in der wir uns zuhause fühlen. Offenbar ist die regionale Zugehörigkeit für die Deutschen viel wichtiger als zu ihrem Land. Sie sehen sich eher als Kind des Ruhrgebietes oder als Franke denn als Deutscher. Die Nachbarschaft als Kern der eigenen Identität. Ein zweiter zentraler Punkt für viele Menschen ist die Arbeit. Sie ist für viele Deutsche ein wichtiger Faktor, der ihnen das Gefühl gibt, ein vollständiges Mitglied der Gesellschaft zu sein.

„Machen das Menschen mit Migrationshintergrund sind sie Schmarotzer."

Der Film fragt auch bei denen nach, die einen Migrationshintergrund haben. Wie Benjamin Araibia. Er ist als Sohn einer deutschen Mutter und eines algerischen Vaters in Leipzig geboren. Menschen mit Migrationshintergrund müssen sich seiner Meinung nach mehr anstrengen, um von der Gesellschaft akzeptiert zu werden. „Wenn ein Deutscher Jahrzehnte von HARTZ 4 lebt, ist er einfach nur ein Assi, machen das Menschen mit Migrationshintergrund sind sie Schmarotzer“, so Benjamin. June Ndukure, wie Benjamin 24 Jahre jung, ist im Westteil Berlins aufgewachsen. Als Tochter eines Nigerianers wird ihre Identität, ihr Deutschsein immer wieder hinterfragt. Bis heute fühlt sie sich im Ostteil Berlins unwohl – in gerade der Stadt, die wie keine andere die Deutsche Einheit symbolisiert.

Auf der Suche nach dem Deutschland-Nenner muss auch immer wieder definiert werden: Wer gehört eigentlich dazu, wer hat Mitspracherecht? In unserer multikulturellen und multidiversen Gesellschaft fällt vielen die Antwort nicht leicht.

Doch gibt es das Deutschsein eigentlich noch, etwas was uns alle gleichermaßen verbindet? „Jetzt wächst zusammen was zusammengehört“ war das Motto 1990. Wir schauen nach ob das gelungen ist und erzählen ganz persönliche Geschichten vom Transformationsprozess und der Suche nach dem, was uns alle 83 Millionen heute verbindet. Es ist die Suche nach Gemeinsamkeiten, ein mögliches Scheitern inbegriffen.