Das Corona-Virus führt der Weltwirtschaft vor Augen, wie verwundbar sie ist. In vielen Ländern steht die Produktion still. Globale Lieferketten sind unterbrochen. Ganze Industrien starren in den Abgrund. So verschränkt wie die Weltwirtschaft heute ist, so verletzlich hat sie sich in den vergangenen Wochen gezeigt. „Die Coronakrise wird die Deglobalisierung rasant beschleunigen“, sagt Professor Dalia Marin von der Ludwig-Maximilians-Universität München, eine Expertin für Internationale Wirtschaft.
Jahrzehnte lang galt das Mantra der Wirtschaft: Arbeitsteilung. Die Industriestaaten produzieren High-Tech, die Schwellenländer übernehmen die Produktion der einfachen oder Vorprodukte. Weil die Arbeitslöhne dort unschlagbar niedrig sind. Die Lieferketten wurden immer länger und Lagerkosten sparte man sich durch Just-In-Time Anlieferung. Die „Geiz ist geil“-Mentalität funktionierte jahrelang und bescherte der Weltwirtschaft steigende Umsätze.
Doch damit ist nun erst einmal Schluss. Die Frage ist: Was kommt nun? Werden Unternehmen ihre Lieferketten verkürzen und die Produktion zurück in die Heimat holen? Die Firma Medika Medizintechnik aus dem bayerischen Hof ist einer der größten Händler für Medizinprodukte und vertreibt normalerweise Atemschutzmasken. Doch diese werden vor allem in China produziert, ihre Herstellung kostet wenige Cent. Genau dieses Kostendenken hat sich in der Krise als fatal herausgestellt, weil ihre Produktion größtenteils zum Erliegen gekommen ist. Michael Koch, Produktmanager von Medika will nun die Herstellung in Deutschland wieder aufnehmen.
Auch die deutsche Automobilindustrie ist massiv durch das Virus betroffen. Eine Firma, die stellvertretend für die Branche unter der Coronakrise leidet, ist die Firma Dräxlmaier aus dem bayrischen Vilsbiburg. Dräxlmaier gehört zu den Top 100 der Automobilzulieferer mit 60 Standorten in über 20 Ländern. Im Zuge der Coronakrise mussten jetzt fast alle Standorte schließen; parallel zum Produktionsstopp in den großen Fabriken der Automobilhersteller. Anfang Mai soll jetzt die Produktion wieder hochgefahren werden. Dafür müssen jedoch die Lieferketten weltweit wieder funktionieren. Und das ist fraglich.
Eine Firma, die es in der aktuellen Krise geschafft hat, die Produktion mit extremen Vorsichtsmaßnahmen weitestgehend aufrecht zu erhalten, ist EPM Papst aus Baden-Württemberg. Der Hersteller von Elektromotoren und Ventilatoren mit über 20.000 Produkten ist ebenfalls global aufgestellt – mit großen Produktionsstätten in Italien und China. Als die Pandemie in Asien ihren Anfang nahm, hat die Firma sofort reagiert und Hygienemaßnahmen eingeführt. Jetzt will sich das Unternehmen auch für die Zukunft wappnen und plant die Produktion den neuen Erfordernissen anzupassen. Die Werke auf einem Kontinent sollen bald autark funktionieren können.
Und auch in der Lebensmittelindustrie merken die Unternehmen, wie abhängig sie von internationalen Märkten sind. Im Jahr 2019 wurden Nahrungs- und Futtermittel im Wert von rund 49,2 Milliarden Euro nach Deutschland importiert. Deutschland ist in vielen Bereichen großer Nettoimporteur von Lebensmitteln, da Produkte wie Südfrüchte, Kaffee, Tee oder Kakao und landestypische Qualitätsprodukte nur importiert werden können. Auch zum Beispiel Tomaten. Tomatenprodukte wie Tomatenmark, -sauce, -saft und Ketchup stammen meist nicht aus Italien oder der Provence: Neben Kalifornien gehört längst China zu den größten "Industrietomaten-Produzenten" und Herstellern von Tomatenpüree. Gegen die Großmacht der internationalen Produzenten können einzelne, mittelständische Unternehmen kaum etwas unternehmen. Das Familienunternehmen Zeisner aus dem niedersächsischen Grasberg setzt zwar weiterhin auf italienische Lieferanten. Ob diese wiederum nicht doch Waren aus China beziehen, kann Firmeninhaber Thomas Zeisner nicht kontrollieren. Er hat in der aktuellen Krise die Sorge, dass eventuell nur noch als Lagerbeständen geliefert wird und es irgendwann keinen Nachschub an Tomatenmark mehr gibt. Der Ketchup-Hersteller ist in die globale Lieferkette fest eingebunden. Ein Großteil der Produktion geht ins Ausland, vor allem in die USA.
Die Dokumentation forscht nach, wie eng verzahnt die globale Welt ist und ob sich die deutschen Firmen aus dieser Abhängigkeit überhaupt lösen können. Denn auch das gehört zu Wahrheit: unsere Wirtschaft ist einer der großen Profiteure der Globalisierung, weil die Firmen ihre Automobile, Maschinen und Dienstleistungen in die ganze Welt verkaufen und damit Wachstum und Wohlstand sichern. Der Film geht gleichzeitig der Frage nach, welche Folgen eine neugestaltete globale Wirtschaftsordnung für die Umwelt hat, denn internationale Lieferketten per Containerschiffen, Flugzeugen und Lkw sind auch ein Grund für den Anstieg des CO2-Ausstoßes.