In keiner Region Europas ist die Berufstätigkeit von Frauen so gering wie in Sizilien, staatliche Unterstützung für Familien oder Kinderbetreuung findet nicht statt. Entsprechend hoch ist die finanzielle Abhängigkeit vom Partner oder der Familie. Viele Frauen trennen sich selbst dann nicht, wenn es zu Gewalt in der Beziehung kommt.
Nicoletta Cosentino führte das Leben einer traditionellen Sizilianerin: verheiratet, Mutter von zwei Kindern, Hausfrau. Dann geriet die Ehe in eine Krise. Ihr Mann war aggressiv, kontrollierte sie und setzte sie psychisch unter Druck. Das Zuhause wurde zum Gefängnis und sie hatte keine Ahnung, wie sie daraus fliehen konnte. Ihre Schwester steckte ihr die Telefonnummer von „Le Onde“ zu - eine Beratungsstelle für Opfer häuslicher Gewalt. „Bei uns im Süden gilt es als romantisch, wenn Männer aufbrausend sind“, sagt Nicoletta. „Erst im Gespräch mit den Sozialarbeiterinnen habe ich realisiert, dass das Verhalten meines Mannes nicht normal ist, sondern Missbrauch.“ Mithilfe eines Anwalts der Organisation gelang es ihr, sich zu trennen.
Heute ist das Wichtigste für Nicoletta finanzielle Unabhängigkeit. Nach einem Praktikum in der Gastronomie erstellte sie einen Businessplan für ihr eigenes soziales Unternehmen „Cuoche combattenti“, zu Deutsch: „kämpferische Köchinnen“. In einer kleinen Manufaktur stellt sie mit anderen Frauen, die ebenfalls Opfer von häuslicher Gewalt wurden, Brotaufstriche, Pasta-Soßen, Marmeladen und Gebäck her. Mithilfe eines Mikrokredits wagte sie den Einstieg in die Selbstständigkeit und eröffnete Ende 2019 einen kleinen Laden in Palermo.
