ARTE Re: Die Corona-Geisterstädte - Metropolen im Lockdown

Freitag, 15. Mai um 19.40 Uhr, ARTE

Viel wird in diesen Tagen diskutiert über Fall- und Todeszahlen, Shut- und Lockdowns, Corona-Koller im mobilen Office und die Lieferlogistik von Lebensmitteln. Diese Zahlen sind objektivierbar, wir können sie messen. Das Virus beeinflusst aber auch die Art und Weise, wie wir leben, wie wir die Dinge sehen. Die Straßen sind frei wie letztmals an autofreien Sonntagen, die Innenstädte historisch verödet. Vormals überbevölkerte touristische Sehnsuchtsorte und Weltmetropolen wurden fast über Nacht zu Geisterstädten: surreal und faszinierend, bedrückend und beängstigend, aber auch schön und verstörend.

Im Auftrag von ARTE waren zeitgleich vier Teams von SPIEGEL TV in Städten unterwegs, die vor der Corona-Krise von Millionen Touristen jährlich besucht wurden: New York, Paris, London und Venedig. Städte, die nie zum Stillstand kamen und unter der Masse von Menschen, dem Müll, den sie hinterließen, dem Lärm und dem Verkehr litten. So sehr, dass Anwohner vielerorts gegen die Überfüllung protestierten.

Wie empfinden sie den plötzlichen Wechsel? Fühlt es sich an wie ein unwirklicher wochenlanger Feiertag? Und wie haben sich diese Städte, deren Ansichten sich ikonografisch in das Gedächtnis der ganzen Welt eingebrannt haben, durch die Ausgangssperren und das Erliegen des öffentlichen Lebens verändert?

Beispiel Venedig: Kaum eine Stadt ist mehr mit Tod, Ansteckung und Seuchen konnotiert. Während der Pest-Pandemie im 14. Jahrhundert beschloss die Lagunenstadt, ankommende Schiffe 40 Tage lang zu isolieren. Von dieser Zahl - italienisch quaranta - leitet sich der Begriff Quarantäne ab, die roten Pflastersteine zur Kennzeichnung zieren noch heute die Straßen.

Venedig ist leidgeprüft, durch absackende Fundamente, überflutete Gebäude und zu viele Touristen. Vor der Corona-Krise besuchten 30 Millionen Touristen die im historischen Kern nur 50.000 Einwohner zählende Stadt. Jetzt sind alle Restaurants und Hotels geschlossen. Venedig gehört wieder den Venezianern.

Unterwegs kommen die Autoren in Kontakt mit Menschen, die ihre Stadt mit neuen Augen sehen. Anwohner, die auf der Straße sind, um kurz den Hund auszuführen oder als Polizist hoch zu Ross zu kontrollieren, dass die Ausgangssperre eingehalten wird. Alltägliche Begegnungen, die vor Corona, in Zeiten des Massentourismus, kaum eine Relevanz hatten.

„Es fühlt sich an wie ein real gewordener Science-Fiction-Film,“ sagt Leni Stassi, der in London geboren und aufgewachsen ist, „wo sind all die Menschen? Es ist eine Art ökonomische Kriegsführung. Wozu braucht man Bomben, Waffen, Munition, wenn ein Virus dazu führt, dass die Menschen verschwinden und die Gebäude übrigbleiben?“

„Es ist ein Paradies auf Erden, die Stadt so leer zu sehen,“ staunt eine ältere Dame in Paris, „ein Privileg – auch wenn der Anlass ein trauriger ist.“

Die einzelnen Erzählstränge kommen ohne Kommentartext aus, die perfide neue Ästhetik, die mit der Corona-Krise einhergeht – leere Städte, verwaiste Bahnhöfe, Menschen mit Atemmasken, Rettungswagen – spricht in weiten Teilen für sich. Den Autoren ist es gelungen, Stadtansichten zu generieren, die völlig neue optische Perspektiven bieten. Es gab sie vor Corona nicht, es wird sie danach kaum jemals wieder geben.